Personal-Dilemma in der Gastro: Die Zukunft der Arbeit

V.l.n.r. Lena Marie Glasner (Expertin für New Work, Gründerin des Zukunftslabors "Basically Innovative" und Buchautorin), Steve Breitzke (Inhaber des MAST Weinbistros), Lukas Lang (Koch im Reznicek) und Simon Schubert (Inhaber Reznicek)
© Kalk&Kegel/Nadja Hudovernik

Die eine forscht zur Zukunft der Arbeit. Die anderen stecken mitten drin in dieser Arbeit und sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Können wir das Personalproblem lösen? Wir lassen die Theorie auf die Praxis prallen.

Bar ohne Namen

Entschlossen verweigert sich Savage, der Bar einen Namen zu geben. Stattdessen sind drei klassische Design-Symbole das Logo der Trinkstätte in Dalston: ein gelbes Quadrat, ein rotes Viereck, ein blauer Kreis. Am meisten wurmt den sympathischen Franzosen dabei, dass es kein Gelbes-Dreieck-Emoji gibt. Das erschwert auf komische Weise die Kommunikation. Der Instagram Account lautet: a_bar_with_shapes-for_a_name und anderenorts tauchen die Begriffe ‘Savage Bar’ oder eben ‚Bauhaus Bar‘ auf.

 

Für den BCB bringt Savage nun sein Barkonzept mit und mixt für uns mit Unterstützung von Russian Standard Vodka an der perfekten Bar dazu.

 

 

 

 

Moderation: Michael Pöcheim-Pech (Kalk&Kegel)

Der Ort für dieses Gespräch ist ganz bewusst ausgewählt: das Reznicek im 9. Bezirk in Wien. Simon Schubert hat es Anfang 2022 eröffnet. In einer Zeit größter Personalnot in der Branche und unsicherer Preisgestaltung. 

Die Gesprächspartner: Lena Marie Glasner (Expertin für New Work, Gründerin des Zukunftslabors „Basically Innovative“ und Buchautorin), Steve Breitzke (Inhaber des MAST Weinbistros), Lukas Lang (Koch im Reznicek) und Simon Schubert (Inhaber Reznicek).

KALK&KEGEL: Lena, Dein Buch nennt sich „Arbeit auf Augenhöhe“. Was bedeutet das genau und wie ist es auf die Gastronomie anwendbar?

Lena Marie Glaser: Arbeit auf Augenhöhe ist das, was sich aktuell sehr viele Menschen wünschen – vor allem von der Arbeitnehmer:innen-Seite. Es ist die große Sehnsucht, am Arbeitsplatz gesehen, gehört und wertgeschätzt zu werden. In der Arbeitswelt, wie wir sie kennen, ist es ja noch immer so, dass von oben herab diktiert wird und sehr selten die Mitarbeiter:innen auch mit eingebunden werden. Möglich ist ein Wandel in allen Branchen. Also auch in der Gastronomie.

Simon Schubert: Arbeit auf Augenhöhe ist genau der richtige Begriff. Die Probleme, die wir in der Gastronomie haben, die sind hausgemacht. Ich befürchte, dass trotz aller Ausnahmen mancherorts immer noch Arbeitsmethoden herrschen wie vor 40 Jahren. Es krankt ganz massiv an der Art wie mit den Angestellten umgegangen wird.

Steve Breitzke: Wir waren ja alle selbst einmal Angestellte und ich kenne das Gefühl nur zu gut. Du kommst in die Arbeit und sofort wird hoher Druck aufgebaut. Wenn du nur von oben herab diktiert bekommst, was du zu machen hast und wie es zu laufen hat, kannst du nie eigenständig arbeiten. Viele, die das so gelernt haben, machen es dann gleich, wenn sie Chef sind. Die kennen das nicht anders. Beispiele von körperlicher Züchtigung oder anderen Strafen gibt es leider noch heute – so ehrlich müssen wir sein.

Lena: Aus meiner Forschung weiß ich, dass sich die junge Generation solche Übergriffe nicht mehr bieten lässt. Die sind dann weg. Wer andererseits ein faires und angenehmes Arbeitsumfeld schafft und auf die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter:innen eingeht, wird als Arbeitgeber erfolgreich sein. Wir haben hier in der Runde ja auch einen jungen Kollegen. Wie siehst du das?

Lukas Lang: Die Augenhöhe ist das Um und Auf. Nach einem halben Jahr mit 5-Tage Woche und zusätzlich einem Tag Schule pro Woche, den ich für das Nachholen der Matura investiere, habe ich gespürt, dass dieses Pensum zu hoch ist. Ich habe das Gespräch mit Simon gesucht und wir haben uns dann auf eine 4-Tage-Woche geeinigt. Dafür bin ich sehr dankbar und meiner Ansicht nach ging die Arbeitsleistung damit noch einmal stark nach oben. Das Endresultat ist jetzt sogar besser als mit dem Arbeitspensum davor.

Lena: Ich würde drei Punkte herausstreichen. Der erste ist die Work Life Balance. Das bedeutet natürlich für jeden etwas anderes. Aber ich bemerke bei den Jüngeren schon, dass es nicht mehr diese Bereitschaft gibt, rund um die Uhr zu arbeiten. Die wollen einfach mehr Zeit haben – für Hobbys, für die Familie oder ihre Freund:innen. Der zweite Punkt ist, dass man den Jungen Perspektiven geben muss. Wohin führt ihr Weg? Es ist ein Vorurteil, dass die Jugend faul ist und nicht arbeiten will. Sie ist einfach selbstbewusst. Auch in dem, was sie fordert. Der dritte Punkt ist, dass sie stark auf ihre Bedürfnisse hören, vor allem auf die eigene Gesundheit. Viele stehen schon als Kinder unter Stress, der Druck ist heute ein ganz anderer. Die sind als Junge schon ausgepowert und fragen sich, wie sie das die nächsten 30 oder 40 Jahre schaffen sollen.

K&K: Sind Konzepte wie die 4-Tage-Woche hier eine mögliche Lösung?

Lena: Die 4-Tage-Woche wird gerade in allen Branchen heiß diskutiert. Die einen sagen, das ist absolut überhaupt nicht möglich. Und dann gibt es die anderen, die es einfach einmal ausprobieren. Oft sind es die kleineren Unternehmen, die diese Konzepte versuchen umzusetzen. Eine Standardlösung gibt es nicht. Natürlich ist das auch eine politische Frage. Denn am Ende braucht es einheitliche Rahmenbedingungen.

Simon: Es ist ein Teufelskreis. Gerade am Land reden wir oft über das Sterben der Wirtshäuser, die dort ja auch soziale Institutionen sind. Die haben meist eine 6-Tage-Woche mit einem Ruhetag. Wenn die sich auf die neue Personalsituation mit vier Arbeitstagen in der Woche einstellen, dann ist das ganz einfach nicht leistbar für die Gastronomen. 

Steve: Und die Preise, die du dann für ein Essen verlangen musst, die wird dir keiner mehr bezahlen – am Land schon gar nicht. Wenn ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute besser entlohnen will, dann muss ich fast dasselbe noch einmal an Steuern zahlen. Und diese Rechnung geht halt nicht auf. Also ohne Rahmenbedingungen seitens des Staates werden Konzepte wie eine 4-Tage-Woche kaum für alle in der Gastronomie funktionieren.

K&K: Wie habt ihr das in euren eigenen Betrieben geregelt?

Steve: In der Küche bieten wir seit zwei Jahren eine 4,5-Tage-Woche an. Als Koch bekommst du also alle zwei Wochen einen zusätzlichen Tag frei. Im Service sind wir aktuell noch bei der 5-Tage-Woche, wollen aber zukünftig auch ein Modell wie bei den Köchen umsetzen – ohne aber an den Öffnungszeiten schrauben zu müssen. Zusätzlich bieten wir sechs Urlaubswochen und ein Bonussystem mit einer zusätzlichen Bezahlung am Jahresende bei wirtschaftlichem Erfolg.

Simon: Wir haben unser Lokal ja erst im vergangenen Jahr aufgesperrt und die 4-Tage-Woche war natürlich ein Wunsch. Heute muss ich sagen ein Wunschtraum. Denn die Kalkulation hat das einfach nicht hergegeben. Und man muss auch ehrlich sagen: Wenn du für deinen Kredit bei der Bank mit einem Businessplan aufkreuzt, der eine 4-Tage-Woche beinhaltet, dann fragen die dich recht schnell, was du am 5. Tag machst. Wir handhaben es so, dass bei uns möglichst keiner mehr als die acht Stunden am Tag arbeitet. Maximal sind es zehn. Für Lukas sind es aktuell sogar die vier Tage pro Woche.

Lena: Ich führe sehr viele Gespräche mit jungen Menschen und die suchen sich ihre Arbeitgeber ganz gezielt nach den Arbeitsbedingungen aus. Vor allem bei größeren Unternehmen ist das immer ein Riesenthema: Die Jungen kommen ins Bewerbungsgespräch und haben schon eine ganze Liste an Forderungen. Und da sollte man nicht gleich zurückschrecken, sondern zuhören und versuchen in einen Dialog zu kommen. Oft sind es gar keine Luxusforderungen, die gestellt werden.

Simon: Forderungen zu stellen, das ist die eine Seite. Und sicher auch okay, wenn du siehst, da ist jemand, der etwas bewegen will. Nur Forderungen zu stellen und dann ist wenig dahinter, das ist ein Problem, mit dem wir in der Praxis halt auch konfrontiert sind.

Steve: Das ist leider die Realität. Du bekommst eine Bewerbung, da wird ein Lebenslauf in ein Mail gepackt und das war es. Kein Anschreiben, kein Name, kein Irgendwas und am liebsten morgen anfangen und 3000 Euro netto kassieren.

Simon: Wenn wir sagen, wir wollen das Modell Arbeit neu denken, dann muss das sowieso branchenübergreifend funktionieren.

Lena: Und für Veränderung ist jetzt gerade der richtige Zeitpunkt. Wir wissen ja, dass alle Branchen aktuell händeringend Personal suchen. Da passiert gerade ein Umdenken und es ist wichtig, dass wir den gesellschaftlichen Diskurs über neue Arbeitsmethoden führen.

Dieser Diskussion kannst du übrigens auch ganz entspannt im Podcast lauschen:

K&K: Welche Rolle spielt die Bezahlung bei all diesen Überlegungen?

Lena: Die faire Bezahlung ist einer der wichtigsten Punkte. Dabei geht es aber vor allem darum, dass man von seiner Arbeit leben kann. Und immer mehr Menschen können aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation kaum mehr von dem leben, was sie verdienen. Beim Geld sind aber viele bereit Abstriche zu machen, wenn sie das Gefühl haben, sie können sich in ihrem Job einbringen und entwickeln.

Lukas: Ein Problem in der Gastronomie ist es sicher auch, dass die wenigsten, die eine Lehre in der Küche oder im Service beginnen, eine echte Leidenschaft dafür aufbringen. Die machen das, weil sie halt irgendwas machen müssen. Bei mir in der Berufsschule waren es von 20 Leuten gerade einmal zwei, die so richtig Bock auf die Gastro hatten. Und einer davon war ich. Die anderen haben die Lehre abgebrochen, haben die Prüfung nicht geschafft oder sind gar nicht erst angetreten zur Prüfung.

Steve: Wir können heute froh sein, wenn zwei bis drei pro Jahrgang wirklich mit Lust und Laune ins Berufsleben starten wollen.

Lena: Leider gibt es in den Schulen noch immer zu wenig Berufsorientierung. Es gibt zu wenig Verständnis, was es heißt in einem Beruf zu arbeiten. Da braucht es noch einiges mehr an Wissensvermittlung.

Lukas: Das Problem ist ja auch, dass dir als Junger noch immer eingeredet wird, dass eine Lehre weniger wert ist als die Matura. Dieser Gedanke ist sehr verbreitet. Aber es ist schlicht falsch so zu denken. Ich glaube, dass man für das Leben und auch über sich selbst in einer Lehre viel mehr lernen kann, als wenn du jetzt jeden Tag in der Schule sitzt. Schul- und Weiterbildung ist wichtig, das will ich gar nicht in Frage stellen. Aber die Lehre hat noch immer nicht den Stellenwert, den sie sich verdienen würde.

Lena: Das steckt leider tatsächlich noch immer so in den Köpfen. Was aber schon zu bemerken ist, das ist ein Umdenken bei den Büro-Menschen im Alter zwischen 30 und 40. Die merken, dass sie in ihren Berufen unglücklich sind. Und die zieht es dann in die handwerklichen Berufe, die wollen wieder etwas Echtes machen.

K&K: Wäre das eine ganz neue Zielgruppe, die man ansprechen kann – also Akademiker, die den Beruf wechseln wollen?

Simon: Die stellen sich das meist einfacher vor als es ist. Gastronomie ist ein Handwerk. Das musst du lernen. Es gibt immer wieder welche, die das ausprobieren, dann aber sehr rasch merken, dass es ein harter und stressiger Job ist – und eben viel mehr als nur ein bisschen Kochen und Wein ausschenken. Mit Büroarbeit ist das nicht zu vergleichen.

Steve: Auch was das Alter betrifft, wird es schwierig. Wo sind denn noch die Kellnerinnen oder Kellner über 40 oder 45? Die sind selten. Vielleicht gibt es sie noch im Kaffeehaus. Das liegt ganz einfach daran, dass die Arbeitszeiten und die Bedingungen in den meisten Betrieben nach wie vor richtig schlecht sind.

Lena: Es gibt eine Gruppe, die haben wir noch nicht besprochen und das ist vielleicht gerade in dieser Runde spannend, weil hier allesamt Männer sitzen. Das ist die Gruppe der Frauen. Die Gastronomie ist natürlich eine Branche, die nicht gerade als familienfreundlich und auch nicht als frauenfreundlich bekannt ist. Auf der anderen Seite gibt es aber genügend Frauen, die in der Gastronomie arbeiten wollen. Ist das ein Potential, das noch übersehen wird?

Simon: Ein Lokal, das am Abend offen hat, wird nicht familienfreundlich sein. Ich bin selbst Vater und sehe die Schwierigkeiten. Wenn ich alleinerziehend wäre, dann könnte ich den Job nicht machen.

Steve: Das meiste Geld wird in der Gastronomie nun einmal am Abend verdient. Und ich wüsste jetzt nicht, wie die Branche auf familienfreundliche Arbeitszeiten umschwenken könnte. Aber dass das ein Problem ist und dass wir hier Lösungen brauchen, das ist mir natürlich klar.

Lena: Um noch einen zusätzlichen Aspekt mit einzubringen: Aus meiner Forschung weiß ich, dass Mädchen oder junge Frauen eine andere Art von Kommunikation brauchen und auch ein anderes Arbeitsumfeld, also eine Art Safe Space. Denkt die Gastronomie auch in diese Richtung? Gerade wenn man auf der Suche nach Personal ist, wäre das ja wichtig.

Steve: An einen Safe Space habe ich tatsächlich noch gar nicht gedacht. Aber das macht natürlich Sinn. Was wir schon tun: Wir fragen unsere Mitarbeiter – weiblich wie auch männlich – schon am ersten Arbeitstag, wie sie nachhause kommen. Gerade bei Frauen ist das nachts ja kein einfaches Thema.

Simon: Du hast natürlich in der Nachtgastronomie noch immer Männer mit sexistischen Witzen gegenüber weiblichem Servicepersonal. Es passiert selten, aber es passiert. Und da ist es als Chef wichtig, ganz klar einzuschreiten.

Steve: Ich habe auch schon Gäste hinausgeschmissen, die sich gedacht haben, sie können diese Witze machen. Da gibt es eine klare Grenze. Und die sollten wirklich alle in der Branche einziehen.

K&K: Wie sieht eurer Meinung nach die Zukunft aus, was die Personalsituation in der Gastronomie betrifft?

Lukas: Ich befürchte, dass es sich noch weiter zuspitzen wird. Es wird viel darauf ankommen, wie wir das Bewusstsein bei den Gästen für Bezahlung schärfen, so dass es am Ende auch eine faire Entlohnung für die Mitarbeiter gibt.

Steve: Als kleiner Unternehmer kann ich mehr bewirken als ein großer Konzern. Wir versuchen vieles und kommen in kleinen Schritten weiter. Die Patentlösung freilich haben wir aber noch nicht. Für mich gibt es aber keine schönere Branche als die Gastronomie.

Simon: Die Zukunft wird großartig. Wenn ich etwas anderes glauben würde, dann hätte ich nicht vor wenigen Monaten ein Wirtshaus eröffnet. Es ist einer der schönsten Jobs der Welt und auch ein sehr erfüllender. Wenn du Gäste glücklich machen kannst, dann wirkt sich das auch positiv auf dich aus. Ich bin optimistisch, dass wir für alle aktuellen Probleme Lösungen finden werden.

Lena: Die Personalnot, die wird jedenfalls mehr. Wir haben einen demographischen Wandel. In den nächsten Jahren werden viele Menschen in Pension gehen und es kommen wenige Arbeitskräfte nach. Das sind die Tatsachen. Ich will aber auch optimistisch sein. Ich sehe es als große Chance, dass wie uns fragen, wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Und da kann jeder kleine Betrieb damit beginnen, Schritt für Schritt Dinge auszuprobieren. Darüberhinaus braucht es aber die politische Diskussion und die gesellschaftliche Diskussion. Beides hat bereits begonnen und hat durch die Pandemie auch noch einmal an Energie und Qualität gewonnen. Das Wichtigste ist, dass wir die Scheuklappen ablegen und gemeinsam zu Lösungen kommen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Februar im Magazin "Die Zukunft der Gastronomie" von Kalk&Kegel.

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