„Für Experten kam COVID nicht überraschend!“

Niko Rittenau ist Ernährungswissenschaftler und Influencer. Er versorgt seine Fans und Follower mit seinen Büchern, Talks und über seinen YouTube-Kanal mit Informationen zur veganen Ernährung. 
© Lars Walther

Bar ohne Namen

Entschlossen verweigert sich Savage, der Bar einen Namen zu geben. Stattdessen sind drei klassische Design-Symbole das Logo der Trinkstätte in Dalston: ein gelbes Quadrat, ein rotes Viereck, ein blauer Kreis. Am meisten wurmt den sympathischen Franzosen dabei, dass es kein Gelbes-Dreieck-Emoji gibt. Das erschwert auf komische Weise die Kommunikation. Der Instagram Account lautet: a_bar_with_shapes-for_a_name und anderenorts tauchen die Begriffe ‘Savage Bar’ oder eben ‚Bauhaus Bar‘ auf.

 

Für den BCB bringt Savage nun sein Barkonzept mit und mixt für uns mit Unterstützung von Russian Standard Vodka an der perfekten Bar dazu.

 

 

 

 

Er ist Ernährungswissenschaftler, Koch, YouTuber, Speaker und Influencer. Niko Rittenau hat viele Berufsbezeichnungen. Aber in allen davon geht es um den veganen Lebensstil. Wir haben mit Niko über seine Ansichten einer möglichen Zukunft ethischer globaler Ernährung sprechen dürfen.

Reed Exhibitions: Hallo Niko, wir freuen uns, dass wir im Rahmen unseres Vegan-Schwerpunktes im Januar mit dir sprechen dürfen. Was war denn für dich damals der ausschlaggebende Punkt, dass du dich für eine vegane Ernährung entschieden hast? 

Niko Rittenau: Ich habe mich 2013 primär aus ethischen Gründen für eine vegane Ernährung entschieden. Schnell wurde mir darüber hinaus klar, dass eine Ernährungsweise mit einem höheren Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln im Durchschnitt auch nachhaltiger ist, aber der ursprüngliche - weil offensichtlichste – Grund war das unwürdige Leben und Sterben der weltweit über 70 Milliarden „Nutztiere“, an deren Leid ich mich nicht mehr beteiligen wollte. 
 

Reed: Und was hat sich seitdem am Markt und in der Gesellschaft verändert? 

Niko: In den letzten sieben Jahren hat sich nach meiner Wahrnehmung wahnsinnig viel verändert und sowohl das Lebensmittelangebot als auch die zur Verfügung stehenden Informationsquellen machen den Einstieg in eine gesunde vegane Ernährung recht einfach. Sowohl im Einzelhandel, als auch in der Gastronomie und auch in den allermeisten anderen Lebensbereichen hat die Vielfalt an veganen Produkten und die Sensibilität für das Thema Veganismus enorm zugenommen.
 

Reed: Stimmt, viele große Produzenten sind auf den Zug aufgesprungen und bieten nun, neben vegetarischen, vermehrt auch vegane Alternativen an. Findest du, befindet sich die vegane Bewegung auf dem richtigen Weg? Was erhoffst du dir für die Zukunft?

Niko: Ich halte die Entwicklung der letzten Jahre, den aktuellen Kurs und die Zukunftsprognosen für äußerst vielversprechend. Laut einer Veröffentlichung der internationalen Unternehmensberatung A.T. Kearney werden im Jahr 2040 wohl bis zu 60 Prozent der Fleischprodukte nicht mehr von Tieren stammen, sondern entweder pflanzen- oder zellbasiert sein. Solche Prognosen sollten vorausschauende Unternehmer aufhorchen und handeln lassen und geben mir Hoffnung, dass wir in eine positive Zukunft gehen, in der die wachsende Weltbevölkerung auf eine umweltschonende, ethische und gesundheitsförderliche Art und Weise ernährt werden kann. 
 

Reed: Wie hast du ganz persönliche das Pandemie-Jahr 2020 erlebt? Welche Schwierigkeiten gab es und wo haben sich Chancen eröffnet?

Niko: Ich musste wie die allermeisten Unternehmer in 2020 natürlich auch finanzielle Verluste durch die Absage meiner Seminare, Vorträge etc. hinnehmen, aber ich habe das Beste aus der Situation gemacht und vermehrt auf digitale Inhalte gewechselt. Somit konnten wir dieses Geschäftsjahr gut überstehen, aber es zeigte mir, wie leicht unsere Normalität aus dem Gleichgewicht zu bringen ist und wie wenig Planungssicherheit wir am Ende des Tages wirklich haben.
 

Reed: Und was planst du für 2021? 

Niko: Ich bereite aktuell meine Doktorarbeit vor, schreibe an zwei Büchern, die beide noch dieses Jahr erscheinen werden und drehe wie gewohnt wöchentliche Ernährungsvideos für meinen YouTube-Kanal. Darüber hinaus unterstütze ich zahlreiche Unternehmen darin neue vegane Produkte zu kreieren, um somit noch mehr hochwertige vegane Lebensmittel für die wachsende Anzahl an vegan, vegetarisch oder flexitarisch lebenden Menschen zur Verfügung zu stellen. Außerdem erscheinen dieses Jahr auch meine ersten Bücher in englischer Sprache und weitere Übersetzungen sind bereits in Planung. 
 

Reed: Die Corona-Pandemie hat erneut eine Diskussion über Krankheitserreger aus dem Tierreich entfacht. Auf vielen Plattformen, die das vegane Konzept unterstützen, wird die Meinung vertreten, dass eine pflanzliche Ernährung die Gefahr weiterer Pandemien verringern könnte, da viele Infektionskrankheiten zoonotischer, sprich tierischer Natur sind. Was sind deine Gedanken dazu?

Niko: Die COVID-Pandemie hat uns einen ersten kleinen Vorgeschmack darauf gegeben, mit welchen Problemen die „Nutztierhaltung“ auch abseits der ethischen und ökologischen Folgen einhergehen kann. Diesmal stammte das Virus aus dem Wildtiermarkt, aber Virologen und weitere Experten warnen seit Jahren davor, dass noch verheerendere Pandemien in der industriellen Intensivtierhaltung auf uns warten. Für jede Person, die sich mit diesem Thema beschäftigt kam COVID nicht besonders überraschend und dennoch sprechen wir medial kaum darüber, wie wir kommenden Pandemien vorbeugen können. Unsere Ernährung spielt hier eine zentrale Rolle. 


Reed: Inwiefern?

Niko: Sowohl das Risiko für antibiotikaresistente Keime als auch zukünftiger Pandemien wächst durch die industrielle Intensivtierhaltung enorm und könnte entsprechend minimiert werden, wenn die Tierhaltung um ein Vielfaches reduziert wird oder Fleisch und andere tierische Produkte zukünftig im Rahmen der „Cellular Agriculture“ (zellbasierte Landwirtschaft) unabhängig vom Tier produziert werden. Das ist keine Meinung, sondern ein Fakt, der allerdings so unangenehm für die Gesellschaft und den Status Quo ist, dass er medial deutlich zu wenig aufgegriffen wird. Das heißt nicht, dass die ganze Welt morgen vegan werden muss, aber der enorme Fleischhunger unserer wachsenden Weltbevölkerung führt zu einer noch nie dagewesenen Art der Tierhaltung. In diesem Ausmaß birgt das Risiken für die zukünftige Generationen noch teuer bezahlen werden - finanziell ebenso wie mit ihrer Lebensqualität.


Reed: Zum Thema „zellbasierte Landwirtschaft“ haben wir vor kurzem einen Artikel zu kultiviertem Fleisch aus dem Labor veröffentlicht. Was hältst du von In-Vitro-Fleisch oder -Milch, wobei Tieren in einem kleinen Eingriff und angeblich schmerzlos Zellen entnommen und im Labor vervielfältigt werden? Sind das deiner Meinung nach, echte Alternativen für die Zukunft? 

Niko: Die zuvor angesprochene Veröffentlichung der Unternehmensberatung A.T. Kearney sagt voraus, dass von den 60 Prozent des nicht-tierischen Fleisches im Jahr 2040 wohl etwa 35 Prozent zellbasiert sein werden und die restlichen 25 Prozent pflanzenbasiert. Ich halte diese Technologie für eine der weltveränderndsten Erfindungen in der Geschichte der Menschheit und setze große Hoffnung darauf, dass es ein entscheidender Lösungsweg sein wird, um die weltweit steigende Nachfrage nach Fleisch zu bedienen, ohne unsere eigene Lebensgrundlage zu gefährden.  
 

Reed: Ist kultiviertes Fleisch überhaupt „vegan“?

Niko: Wenn man der offiziellen Definition der Vegan Society aus Großbritannien folgt, nach jener der Veganismus eine Lebensweise ist, die das Ziel verfolgt, Tierleid und Ausbeutung auf ein möglichstes Minimum zu reduzieren, halte ich derartige Produkte für vegan. Es geht bei der veganen Ernährung nicht darum nur Pflanzen zu essen (dann dürfte man auch keine Pilze essen), sondern es geht darum, die Interessen aller Lebewesen soweit möglich zu berücksichtigen und eine faire Welt unabhängig der Spezieszugehörigkeit zu schaffen. Da zellbasiertes Fleisch die Möglichkeit eröffnet, Fleisch zu erzeugen, ohne ein Tier dafür zu töten und dabei auch deutlich weniger ressourcenintensiv zu sein, ist es ein großer Hoffnungsträger. Es braucht hier aber noch viel Forschung. 
 

Reed: Wie kann man deiner Meinung nach bei einem veganen Menü sichergehen, dass es auch vollwertig und nährstoffreich ist? 

Niko: Ich empfehle Leuten sich an die fünf Hauptlebensmittelgruppen der veganen Ernährung – Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, Obst, Gemüse sowie Nüsse/Samen – zu halten und zumindest wöchentlich in den Farben des Regenbogens zu essen, um in den Genuss der vielfältigen sekundären Pflanzenstoffe mit positiver gesundheitlicher Wirkung zu kommen. Hier gilt es natürlich vollwertige pflanzliche Lebensmittel in den Farben des Regenbogens zu essen und nicht Smarties oder Skittles. Wenn man sich kalorienbedarfsdeckend und abwechslungsreich ernährt und einen Fokus auf eine Handvoll kritischer Nährstoffe hat (die entweder durch ein angereichertes Lebensmittel oder ein Nahrungsergänzungsmittel abgedeckt werden können), steht der Bedarfsdeckung in jeder Lebensphase nichts mehr im Weg. Mehr Details dazu gibt es neben meinen Büchern auch in meinen kostenlosen Ernährungsvideos auf YouTube.
 

Reed: Was hältst du von veganen Fertigprodukten?

Niko: Das kommt auf das jeweilige Fertigprodukt an. Manche sind gut produziert, sauber in der Zutatenliste und wohlschmeckend und manch andere sind das genaue Gegenteil davon. Letztendlich kann aus rein gesundheitlicher Sicht aber jedes Lebensmittel im Rahmen einer insgesamt gesunden Ernährung Teil des Speiseplans sein. Es kommt nicht auf das einzelne Lebensmittel, sondern die Summe der Lebensmittelauswahl an. Das reduktionistische Verteufeln einzelner Lebensmittel missachtet die komplexen Wechselwirkungen unserer Nahrungsmittel untereinander und lässt das große Ganze außer Acht.
 

Reed: Warum ist es wichtig, dass auch Veganer „Fleisch“-Produkte haben, ein veganes Würstchen also auch Würstchen und nicht Sojastange heißt?

Niko: Zum einen dienen diese Fleischersatzprodukte auch Mischköstlern, die bewusst regelmäßig auf Fleisch verzichten wollen, aber dennoch ein ähnliches Geschmackserlebnis bekommen möchten. Andererseits können sie vegan lebenden Menschen gerade zu Beginn den Umstieg erleichtern, da sie in der Zubereitung ähnlich wie altbekannte Lebensmittel sind. Darüber hinaus verzichten auch vegan lebende Menschen zumeist nicht auf Fleisch, weil sie den Geschmack nicht mögen, sondern weil sie die Art und Weise nicht befürworten, unter welchen Bedingungen Fleisch produziert wird. Wenn es also ein Produkt gibt, das ein ähnliches Geschmackserlebnis ohne die ökologischen und ethischen Probleme bietet, spricht doch eigentlich nichts dagegen, oder? 
 

Reed: Wie nimmst du das vegane Angebot in der Gastronomie in Österreich wahr? In Wien bieten ja bereits viele Restaurants vegane Optionen an, aber wie ist das außerhalb der Hauptstadt? 

Niko: In Wien ist das vegane Angebot wirklich spitze und wann immer ich in Österreich bin freue ich mich besonders auf meine Wienbesuche und all die neuen Angebote dort. Aber auch in kleineren Städten wie meiner Heimatstadt Klagenfurt gibt es mittlerweile mit dem Trivida ein rein veganes Restaurant und auch viele nicht-vegane Hotels und Restaurants wie das Hotel Sandwirth in Klagenfurt bieten mittlerweile einige hervorragende vegane Gerichte an. Auch im Einzelhandel wurde ich bei meinem letzten Österreichbesuch von der veganen Linie von Spar positiv überrascht. Vor kurzem erfuhr ich, dass es in meinem Heimatbundesland Kärnten mit dem Strandhotel am Weißensee sogar ein rein vegetarisch-veganes Hotel gibt. Ich werde dieses Jahr auch etwas öfter in Österreich sein und freue mich schon sehr auf alle kulinarischen Eindrücke dort.
 

Reed: Wenn du ein Gefangener wärst und du in deiner Zelle bis an dein Lebensende nur noch ein einziges Lebensmittel, entweder zu essen oder zu trinken, bekommen würdest, welches würdest du wählen, um so lange wie möglich zu überleben?

Niko: Glücklicherweise befinden wir uns in westlichen Ländern nicht in derartigen Notsituationen. Kein Lebensmittel alleine kann auf Dauer den Nährstoffbedarf eines erwachsenen Menschen optimal decken – es sei denn, es wird mit gewissen Nährstoffen angereichert. Daher gebe ich einfach mein Bestes, nie in Gefangenschaft zu geraten, damit ich derartige Überlegungen gar nicht erst anstellen muss (lacht).
 

Reed: Danke dir Niko für das spannende Gespräch!

 

Mehr von Niko Rittenau findet man auf seiner Website, seinem YouTube-Kanal und auf Facebook.

 

Das Interview führte Jana Neugebauer, Content Managerin der “Alles für den Gast”